Original von Michael
...Man darf jedenfalls gespannt sein. Vielleicht passiert aber auch einfach Folgendes: die Diskussionen werden wieder spannender und die große Koalition aus CDU/CSU und SPD muß sich mehr einfallen lassen, als aus Staatsraison einen neoliberalen Kurs zu fahren und den Armen Stabilität und den Reichen Rentabilität zu verkünden. Wir haben eben gemeinsame Probleme in dieser Welt und wenn eine große Koalition schon die Kräfte nicht zusammen bringt, sondern ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in die Verantwortungslosigkeit auf allen Seiten nicht verhindert, was ist dann gegen einen Systemwechsel einzuwenden, wenn das bisherige versagt? Es gilt eben für alle Seiten, außer Unkenrufen auch zukunftsträchtige Entwürfe und handhabbare Vorschläge zu produzieren, die weder einseitige Belastungen noch einseitige Bevorteilungen vorsehen. Wir sitzen alle in einem Boot: Mutterschiff Erde. Und undere Kinder sind die Zukunft. Welche erben sie? Welches System soll sie vor Ausbeutung voreinander schützen und den Gemeinsinn und die Verantwortung für das Ganze stärken und dabei noch Freiheit und Individualität fördern? Ideen, Diskussionsbereitschaft, Mut und Engagement sind gefragt. Angst haben allein hilft auch nicht weiter. ...
Ja, interessant wird die Diskussion. Aber führt sie zu etwas Konstruktivem? Oft ist das, was Politiker für den Bürger interessant macht, nämlich ihre rhetorischen Gaben und ihr populistisches Gehabe, für eine konstruktive Gesellschaftspolitik wenig förderlich. Denn die leisen Töne hört man weniger, als das markige Kampfgetöse, das jedoch bleibt, was es ist: Getöse, Gestürm und am Ende bleibt alles, wie es ist und die Akteure überbieten sich im Rechthaben. Das reizt mich, auch mal ein wenig auf die populistisch rhetorische Tube zu drücken: Man mag also im Folgenden auf ein paar Vereinfachungen gefaßt sein.
Dass sich ein Angehöriger eines so genannten "sozialen" oder "helfenden" Berufes für sozialen Ausgleich, soziale Verantwortung, gesellschaftliche Fairness, ökologische Weitsicht, aber auch individuelle Bürgerrechte, Freiheit und Selbstbestimmung innerhalb eines sozialen Kollektives interessiert, wird vermutlich niemanden verwundern. Als ein solcher, Angehöriger des "Wahlvolkes" und keiner Partei verpflichtet, wundere ich mich aber über die Bundestagsparteien, die sich von ihrer politischen Ausrichtung von linksliberal über sozialdemokratisch, links, alternativ bis ökologisch für diese sozialen, demokratischen und ökologischen Themen zuständig fühlen und ich wundere mich über deren Spitzenpersonal. Mir scheint, wenn sich diese mit der Idee, dass die sozialdemokratische Partei, die Linke und Bündnis90/Die Grünen rein rechnerisch eine linke Wählermehrheit in der Bundesrepublik gegenüber dem rechts- und wirtschaftliberalen, bürgerlich-konservativen Lager repräsentieren, zu Wort melden, dass es sich auch da nur um einen rhetorischen Populismus z.B. eines Herrn Lafontaine handelt, ohne jede Aussicht auf politische Verwirklichung.
Was bietet sich für Personal an? Ein gewichtiger Landesvater und SPD-Präses namens Kurt Beck, der kryptisch von "Prekariat" fabuliert, weil ihm das Schichten- oder Klassenmodell der Gesellschaftsbeschreibung zu sozaldemokratisch oder gar sozialistisch vorkommen mag, will tatsächlich Kanzler werden und hat in der eigenen Partei weniger Anhänger als die inzwischen ganz smart daher kommende und relativ wenig populistisch wirkende Kanzlerin Angela Merkel aus der CDU. Beck will natürlich nicht Kompagnon des knochentrockenen Alt-SED'lers Lothar Bisky oder des ebenso vergangenheitsbelasteten rhetorisch brillianten Populisten Gregor Gysi werden. Er will aber eben auch keine Zustimmung vom Renegaten und Erz-Populisten Oskar Lafontaine, dem Dritten der Führungstroika der PDS/Linkspartei- und WASG-Nachfolgerin "Die Linke".
Tja, und "der Oskar", der verwundert wirklich: Da will er angeblich diesem unpopulären Beck zur Kanzlerschaft gegen Merkel verhelfen, wenn er denn auf seine sozialstaatlichen, angeblich echten sozialdemokratischen Prinzipien zurückschwenken würde. Der so Angeköderte läßt prompt tönen, dass es sich um eine Falle und ein vergiftetes Angebot handele. Nur, für wen, frage ich mich verwundert? Meint Lafontaine, das Kalkül seiner populistischen Vereinfachungen würde zum Einfangen jener deutschen Mamis und Papis aufgehen, deren Arbeitsplätze der Ex-Sozi schon mal gegen die "Fremdfarbeiter" schützen wollte? Sollen sie ihm glauben, dass es mit ihm so einfach wäre, links (-nationale?) Politik zu verwirklichen, wenn der dicke Beck sich nicht so aus persönlichem Ressentiment vor dem Lafontain sträuben würde, mehr noch als vor dem Gysi und dem Bisky?
Ich kann mir leider weder anhand der praktischen Politik noch anhand der Redebeiträge vorstellen, dass ein Beck ein guter sozial-demokratischer Kanzler wäre, noch dass der Lafontaine ein geeigneter Steigbügelhalter und Innen- oder Außenminister wäre. Und was soll man von den Überzeugungen eines Lafontaine halten, der ausgerechnet dem Beck zur Macht verhelfen will? Beck und Lafontaine, zwei, die sich ihrer Rhetorik nach am allerwenigsten von allen Spitzenfiguren lieben? Will er damit sozusagen über alle Gräben hinweg Bereitschaft zur praktischen "Regierungsverantwortung" demonstrieren? Will er nur irgendwie zurück an die Macht auch um den Preis, einen biederen und ungeschickten Beck zu ertragen, der ihm allerdings weniger gefährlich werden würde, als seinerzeit der ebenfalls populistische Machtmensch Schröder? Oder wollte er tatsächlich ein vergiftetes Angebot überreichen, dass Beck als einen diskreditieren soll, der lieber mit den Konservativen an der Macht bleibt, als sozialdemokratische Politik mit der Linken zu machen?
Ich persönlich glaube, dass Lafontain ein opportunistischer Populist ist, ein echtes "Schlitzohr", wie manche sagen würden, wenn auch nicht ohne persönliche Glaubenssätze, bei dem man aber gar nicht wissen kann, ob er bürgerlich-liberal oder bürgerlich-links ist. Ich weiß nur, dass er vor seinen politischen Ämtern Lehrer war und auch weiterhin alle Welt belehrt und dass er jetzt mit einem Rechtsanwalt und einem Kulturwissenschaftler linke Politikfelder für sich reklamiert, nachdem er seine persönliche Beschuldigungs- und Rechtfertigungsliteratur veröffentlicht hat. Und ich weiß gar nicht, ob ich darüber traurig, amüsiert oder gar davon angetan sein soll, dass das weibliche CDU-Spitzenpersonal, angeführt durch die kinderlose "Super-Nanny" Merkel, die laut polnischer Presse-Karikatur (aus "Wprost") die polnischen Regierungszwillinge Kaczynski säugt und den EU-Zirkus kindergärtnernd geduldig erzieht, und die "Super-Mammi" von der Leyen aus konservativer Perspektive die Felder soziale Gerechtigkeit und Familie derzeit so medienwirksam besetzen kann. Mag sein, dass ihnen der Regierungsbonus zur positiven Einschätzung hilft. Wer aber hilft bei all dieser Rhetorik- und Presseschlachten tatsächlich denen, die unser soziales Gewissen benötigen? Antworten? Wohlfeil. Taten?
LG, Michael