Ein Naturwissenschaftler, Dr. Mat und ein Mystiker, Bruder Martin, unterhalten sich über Gott, die Religion, die Liebe und den freien Willen. Dr. Mat.: "Frühere Naturwissenschaftler lehnten die Gottesidee ab, da die Idee von einem Schöpfergott, der richtet und nach dem Tod für die Menschen einen Himmel und eine Hölle offenhält, der Idee des freien Willens widerspricht. Schließlich stellten die Wissenschaftler fest, dass ein höheres Wesen, das sich jeder Messung oder jedem Beweis entzieht, wissenschaftlich unvorstellbar ist und damit ausgeschlossen." Bruder Martin: "Für mich hat Gott mit der Erfahrung der Liebe zu tun, die ich in der Vereinigung, der Union mystica mit dem Göttlichen erlebe." Dr. Mat.: "Die Liebe ist naturwissenschaftlich gesehen ein biochemischer, hormonell gesteuerter Vorgang in einer biologischen Körpermaschine. Es ist ein biologisches Verlangen wie Hunger und löst entsprechende biologische Reaktionen aus und hängt auch von diesen ab. Diese Stoffwechselvorgänge steuern letztlich unsere Empfindungen und Gefühle, sogar unsere Gedanken. Diese biochemische Determinierung als materieller Vorgang kommt ohne alle geistige Zutat aus. Ein freier Wille ist somit anzuzweifeln, da wir biologischen Gesetzen in unserem Handeln, Fühlen und Denken unterworfen sind." Bruder Martin: "Das klingt nach einem sehr geschlossenen Weltbild und ähnelt damit einer Form von Glauben, welche Ihr als Naturwissenschaftler gerne kritisiert. Dieser Form von Liebe als einem biochemischen Vorgang wohnt tatsächlich wenig Freiheit inne. Es ist das Triebhafte, das Sigmund Freud entdeckt hat und das gleichwohl Teil einer wunderbaren Natur ist, die ich als Schöpfung begreife. Die Liebe, die ich als Mystiker erfahre, hat jedoch mit der biologischen Triebstruktur nichts Erkennbares gemein. Etwas, das so abhängig von etwas ist, gebunden, entstanden und vergänglich, bekommt in der mystischen Erfahrung nicht die Qualität der Liebe, die völlig frei lässt, die nichts zu tun hat und sich nicht einfordern und nicht berechnen lässt. Ohne dieses freie Liebe gibt es keinen freien Willen." "Dr. Mat: "Wie aber kann der Wille unter dem Einfluss einer solchen universalen und scheinbar allmächtigen Liebe frei sein. Ist das nicht nur eine schöne Idee?" "Bruder Martin: " Das erfährt der Mystiker in sich selbst in seiner tiefsten Nacht, in tiefster Gottferne, in der scheinbaren Abwesenheit von Liebe. Er kann sich entscheiden, diesem Schmerz beizuwohnen und mit seiner Angst dabei zu bleiben, den Schmerz anzunehmen oder sich dagegen zu wehren, sich zu verschließen, durch Gedanken und Gefühle, die er dazu tut, um die Angst und den Schmerz zu verringern. Er kann sich entscheiden, dazu nein zu sagen und etwas anderes zu wollen. Oder er kann sich hingeben. Es scheint leichter zu sein, nein zu sagen. Doch ist es meine Erfahrung, dass ich meiner Lebensfähigkeit selbst in der Angst und im Schmerz nie ganz verlustig gehe und es mir somit genauso leicht fällt, ja zu sagen und mich an diese Erfahrung hinzugeben. Der Wille ist hier frei." Dr. Mat: "Aber Ihr Mystiker behauptet durch alle Religionen hindurch, dass es ein unglaublich tiefes Verlangen, eine schier unauslöschliche Sehnsucht nach der Vereinigung mit Gott oder dem Göttlichen in Eurem Herzen gibt. Falls diese Sehnsucht nicht auch Ausfluss irgendeiner Angst ist und der Unfähigkeit, zu akzeptieren, dass es einfach nichts Höheres gibt, als uns selbst als biologische, vernunftbegabte Maschine, wie könnte man behaupten, frei zu sein, wenn diese Sehnsucht den Menschen zu etwas zieht, etwa zu einer Vereinigung? Wie kann dann also die Liebe der Mystiker frei sein?" Bruder Martin: "Da es möglich ist, das Verlangen zu ignorierten oder zu spüren, ihm zu folgen oder es abzulehnen, gibt es Freiheit. Das Verlangen ist eher eine Art Erinnerung an unsere wahre Natur, die mehr ist, als unsere biologische Natur und chemische Vorgänge. Die heiligen Bücher beschreiben das nur ungefähr, weil es sich kaum mit Worten übermitteln lässt. Die Religionen verwenden daher verschiedene und doch recht ähnlich Bilder, die aber nur an die Schwelle der eigentlichen inneren Erkenntnis führen können, die einem Weg gleicht, den nur jeder selbst gehen kann und jeder hat die Freiheit, bis dahin zu gehen und auch über die Brücke dieses Weges oder auch nicht. Nach den Lehren schickt das göttliche Wesen, die Liebe, dem Menschen beständig etwas entgegen und versichert, immer bei ihm und sogar ein Teil von ihm zu sein. In der einen Vorstellung kommt Gott selbst als sein Sohn und als Mensch zu den Menschen. In einer anderen Vorstellung ist er in jedem menschlichen Herzen von Anfang an und immer präsent und lässt diesen göttlichen Funken nie verlöschen. In anderen Bildern wird ausgedrückt, dass der Mensch Gottes Ebenbild ist. Vollzieht der Mensch innerlich die Vereinigung mit Gott und Gott die Vereinigung mit dem Menschen, nennen die Mystiker dies Union mystica. Diese mystische Verschmelzung ist ein Liebesakt. Der Mensch kehrt zu seinem Ursprung zurück, vereinigt sich mit Gott. Der göttliche Teil kehrt heim. Gott nimmt ihn und den menschlichen mit seinen Erfahrungen in sich auf. Sie werden eins. Dieser Liebesakt ist ein Bewusstseinsprozess, dem der Körper nicht im Wege steht, im Gegenteil. Der geschaffene Körper, eine geniale Kokreation des Göttlichen und des individuellen Menschen, ist in seiner Empfindungsfähigkeit in dem Maße Teil des Vereinigung- und Erlösungsprozesses, in dem der Mystiker seinen Körper bewusst wahrnimmt und einbezieht. Er bleibt aller menschlicher Empfindung fähig und gewinnt die göttliche Weite hinzu. Diese Weite verbindet mit allem und jedem, denn sie ist bereits in Gott. In dieser Vereinigung ist Unterscheidbarkeit und Ununterschiedenheit ungetrennt allgegenwärtig. Wenn die Vereinigung erfolgt ist, ist der Mensch im Zustande absoluter Freiheit und hat Teil an der Allmacht, ist Mitschöpfer und Geschöpf zugleich. Er hat alles. Er ist in der Liebe. Er ist darin frei. Ob er diesen Weg gehen will, entscheidet er von Anfang an selbst. Ob er ihn gehen kann, hat Gott schon entschieden. Er ließ Trennung zu und Vielfalt und Rückkehr und Einheit." Dr. Mat: "Wow! Jetzt bliebe aber noch die Frage, ob Gott, der die Liebe und das alles ist, auch nicht lieben kann, wenn er das z.B. will? Ist er so allmächtig?" Bruder Martin: "In seiner Schöpfung als Mensch ist er dazu in der Lage, in der Lage, sich von sich selbst abzutrennen und dem abgetrennten Teil die Wahl zu lassen, die Trennung beizubehalten. Diesem Teil ist jede Grausamkeit gegen sich und andere möglich, dieser Teil kann Gottesferne verspüren und erleiden, Hass gegen Liebe wenden und Angst gegen Verstehen. Und dieser Teil kann jederzeit zu seinem Erbe zurückfinden und sich mit seinem Ursprung vereinigen. Gott hat die Freiheit geschaffen, in dem er sie aus sich heraus gesetzt hat. Er war so frei, er ist so frei." Dr. Mat: "Und wo endet das?" Bruder Martin: "Wo und wann Du willst."